Eine eigenartige und kaum nachvollziehbare Regeländerung sorgte nach dem Vienna City Marathon bei fast allen Teilnehmern für großes Entsetzten.
Denn aufgrund einer Adaption im Regelwerk haben nahezu alle Marathonläufer deutlich schwächere Laufzeiten als zunächst angenommen.
Brutto und Netto: Ein entscheidender Unterschied
Beim Vienna City Marathon wurden in der Vergangenheit bisher die sogenannten Bruttozeiten für Profi-Läufer gewertet, für Hobbyläufer hingegen galten die Nettozeiten.
Diese Regelung ist zunächst vollkommen nachvollziehbar und logisch. Denn als Bruttozeit gilt die Zeit, die zwischen dem Startschuss bzw. dem offiziellen Start der Zeitnehmung und dem Zieleinlauf des Läufers aufgezeichnet wird. Die Nettozeit eines Läufers startet hingegen erst, wenn dieser die Startlinie überquert und damit die Zeitnehmung auslöst: Laufen & Wettkämpfe: Unterschied zwischen Bruttozeit und Nettozeit
Wieso für Profis immer die Bruttozeit gilt
Im internationalen Regelwerk ist festgelegt, dass für Rekorde und internationale Limits immer die Bruttozeit ausschlaggebend ist. Demnach muss bei Profis bzw. Elite-Läufern immer die Bruttozeit gewertet werden.
Wieso für Hobbyläufer die Bruttozeit unsinnig ist
Bei Hobbyläufern hingegen ist die Nettozeit deutlich relevanter. Denn logischerweise können bei einem großen Marathon, wie etwa in Wien (7.500 Teilnehmer) nicht alle Läufer gleichzeitig loslaufen. Wer nun erst 15 Minuten nach dem offiziellen Start die Startlinie überquert, hat in der Ergebnisliste eine Differenz von 15 Minuten zwischen der Bruttozeit und der Nettozeit. Bisher war es immer so, dass für Hobbyläufer die Nettozeit galt. Dieses Prozedere trifft übrigens auch auf fast alle anderen großen Städte-Marathons zu, wo es in der Regel getrennte Wertungen zwischen Elite-Läufern und der "offenen Klasse" gibt.
Bei einigen anderen Veranstaltungen, wie etwa bei den B2Run-Firmenläufen in Deutschland, ist es so geregelt, dass die zehn schnellsten Läufer nach Bruttozeit gewertet werden, danach hingegen die Nettozeit ausschlaggebend für die Platzierungen ist.
In Wien gilt nun Brutto für alle
Nun wurde für den Vienna City Marathon erstmals die Bruttozeit für alle Läufer priorisiert. Die Bruttozeit galt demnach als Referenz für die Platzierung der Sportler. Das ist allerdings im Falle des Vienna City Marathons für fast das gesamte Teilnehmerfeld alles andere als fair.
Wieso die Regeländerung unfair ist
Dazu ein Beispiel. Nehmen wir an, "Hobbyläufer A" überquert drei Minuten nach dem Startschuss die Startlinie und erreicht 3:30 Stunden nach dem Startschuss das Ziel. In diesem Fall hätte er eine Bruttozeit von 3:30 Stunden bzw. eine Nettozeit von 3:27 Stunden. "Hobbyläufer B" hingegen überquert erst 15 Minuten nach dem Startschuss die Startlinie und 3:35 Stunden nach dem Startschuss das Ziel. In diesem Fall hätte er eine Bruttozeit von 3:35 Stunden, aber eine Nettozeit von 3:20 Stunden.
Aus sportlicher Sicht wäre also Hobbyläufer B mit 3:20 Stunden deutlich schneller als Hobbyläufer A mit 3:27 Stunden. Mit der Änderung im Reglement des Wien Marathons ist nun aber trotzdem Hobbyläufer A mit einer Bruttozeit von 3:30 Stunden vor Hobbyläufer B mit einer Bruttozeit von 3:35 Stunden gewertet.
Eigenartige Argumentation
Grund für diese Regeländerung war wohl eine saubere Wertung bei den Altersklassen. Denn so könnte ein Läufer, der zwar als Erster seiner Altersklasse das Ziel erreicht, durch die Nettowertung doch noch um seinen Sieg gebracht werden. Ein ähnliches Szenario gab es bei einer vergangenen Auflage des Wien Marathons, wo im Rennen mehrmals die (scheinbar) schnellste Österreicherin im TV gezeigt wurde, die aber im Nachhinein dann doch nicht die schnellste Österreicherin war, da eine Läuferin, die kurz nach ihr das Ziel erreichte, eine bessere Nettozeit hatte.
Da beim VCM aber ohnehin nur die Ergebnisse der Elite-Läufer internationale Relevanz haben, macht es unserer Meinung nach überhaupt keinen Sinn, dieses Reglement auch auf tausende Hobbyläufer anzuwenden.
Auch die betroffenen Hobbyläufer reagierten großteils unverständlich auf diese Änderung im Reglement.
Beide Leistungen in den Urkunden
Zur Verteidigung des Veranstalters sei gesagt: In den offiziellen Urkunden haben diese immerhin beide Zeiten angeführt und auch beide Platzierungen, also die Platzierung laut Bruttozeit und die Platzierung laut Nettozeit.
Zudem gab es auch einige wenige andere Großveranstaltungen, bei denen ähnliche Regelanpassungen beobachtet wurden. So etwa beim diesjährigen Prag Halbmarathon. Auch da wurden alle 13.500 Teilnehmer nach Bruttozeit gewertet, obwohl viele Läufer erst rund 20 Minuten nach dem offiziellen Startsignal die Startlinie überquerten
Im nächsten Jahr droht Chaos
Die Rechnung für diese Regeländerung könnten die Veranstalter im nächsten Jahr zu spüren bekommen. So könnte dann das Gerangel im Startbereich deutlich dichter werden. Denn, nachdem diese Regeländerung auch bei vielen Hobbyläufern bekannt ist, möchten wohl die Wenigsten davon am Start viele Minuten an Zeit verschenken.
Update (23.04.2024): Der Vienna City Marathon möchte wieder auf das gewohnte System umstellen. Im Ranking soll es nun eine Reihenfolge für Brutto und für Netto geben, wobei Netto die Standard-Variante ist.
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Kommentare
Die neue Regelung in Wien würde zukünftig dazu führen, dass sich noch viel mehr Läufer weiter vorn einordnen.
Leider stimmt das nicht ganz, zumindest nicht für die AK Wertung. Und ich glaube es ist keinem AK Läufer egal ob er nun 5 nach Bruttozeit (oder Gun-Time) ist oder 2 nach tatsächlich gelaufener Chip-Time.
Also alle Läufer in eine Reihe und dann gehts los.
Die neue Regelung in Wien würde zukünftig dazu führen, dass sich noch viel mehr Läufer weiter vorn einordnen.